Unechte Teilortswahl in Sinsheim

Reformieren wir das Wahlsystem „Ja oder Nein“

Eine Auflistung der wichtigsten Pro- und Contra-Argumente zur Unechten Teilortswahl von Jens Töniges.

Zum Thema der Unechten Teilortswahl (UT) in unserer Stadt gibt es Argumente dafür und Argumente dagegen. Entscheidend ist die Gewichtung dieser Argumente, die unsere Fraktion dazu bewog, sich für eine Reformierung dieses Wahlsystems einzusetzen.

Am 18.04.2023 folgte unsere Fraktion dem Vorschlag der Stadtverwaltung des bestehenden Wahlsystems der UT in Sinsheim durch ein einfaches Verhältniswahlrecht zu ersetzen und dadurch die Sitzzahl auf die an unserer Gemeindegröße gemessenen, 32 Sitze festzulegen. Das Votum im Gemeinderat fiel bekanntlich eindeutig für die Reformierung des Wahlsystems aus mit dem Ergebnis von 27 ja-Stimmen gegenüber 17 nein-Stimmen.

Eine Auflistung der wichtigsten Pro- und Contra-Argumente zur UT.

Pro:

  • Die UT schafft einen garantierten Platz für einen Vertreter aus jeden der 12 Teilorte im Sinsheimer Gemeinderat – je nach Größe der Teilorte bis zu 3 Vertreter.
  • Mindestens ein Vertreter aus einem Teilort kann über alle Belange der Gesamtstadt mit abstimmen. Auch bei Beschlüssen, welche unter anderem auch Maßnahmen in anderen Stadtteilen betreffen.
  • Ein Kandidat aus einer kleineren Dorfgemeinde kann auch mit einem geringeren Bekanntheitsgrad und wenigeren Stimmen in den Gemeinderat kommen

Contra

  • Die UT ist ein für den Wähler sehr kompliziertes Wahlsystem, was sehr anfällig für eine ungültige Stimmabgabe ist und zu Verzerrungen von Wahlergebnissen führen kann. 7,9% ungültige Stimmen in Sinsheim bei der letzten Kommunalwahl, in einigen Ortsteilen über 20% falsch ausgefüllte Stimmzettel.
  • Das bisherige Wahlsystem schafft Ausgleichssitze, was zu einer wachsenden Anzahl der Gemeinderatssitze führt. In Sinsheim sind es derzeit 45 Sitze statt 32 Sitze. Der Sinsheimer Gemeinderat wird immer größer. Quantität statt Qualität.
  • Mit der UT ist die Wahlfreiheit eingeschränkt und die Stimmen-Abgabe für Kandidaten aus den Ortsteilen begrenzt.
  • Das Wahlsystem der UT verstößt unserer Meinung nach gegen demokratische Grundprinzipien wie bspw. „jede Stimme ist gleich“. Ein Kandidat mit fast 5000 Stimmen aus der Kernstadt kommt nicht in den Gemeinderat, während ein Kandidat mit 400 Stimmen einen Gemeinderatssitz erhält, weil er einen anderen Wohnsitz hat (so geschehen bei der letzten Kommunalwahl in Sinsheim). Eine Summe aus der Kernstadt hat demnach eine andere Wertung als eine Summe aus einem Teilort, was mit der unterproportionalen Verteilung der Sitze zu tun hat.
  • Das Wahlsystem der Unechten Teilortswahl ist juristisch anfechtbar wegen der unproportionalen Sitzzuteilung – Beispiel Tauberbischofsheim. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit Urteil vom 19. Juli 2022 die Kommunalwahl der Gemeinderäte in Tauberbischofsheim von 2019 für unwirksam erklärt. Die Wahl musste 2023 wiederholt werden.

Werden die Belange der 12 Teilorte Sinsheims auch ohne die UT gut vertreten?

Wir von den Grünen sagen „ja“

Wichtig ist daran zu erinnern, dass Beschlüsse zu bestimmten Sachthemen nur durch Mehrheiten im Gemeinderat umgesetzt werden können. Ein einzelner Vertreter eines Teilorts kann nicht die Belange seines Teilorts allein durchsetzen er braucht dazu Mehrheiten des gesamten Gremiums. Jeder Gemeinderat ist verantwortlich in seiner Entscheidung für die Gesamtstadt, für alle Ortsteile.

Die in allen Sinsheimer Stadtteilen bestehende Ortschafts-Verfassung (mit Ausnahme der Kernstadt) gibt unseren 12 Teilorten ein Mitwirkungsrecht bei Entscheidungen des Gemeinderates, vertreten durch die Ortsvorsteher in jeder Gemeinderatssitzung. Unsere 12 Ortsvorsteher, welche in der Regel vom Ortschaftsrat einer jeden Teilgemeinde gewählt werden, haben in festgelegten Bereichen innerhalb der Gemarkungsgrenze der Teilgemeinde eine eigene Entscheidungskompetenz.

  • Wichtig!! Wenn das Wahlsystem sich ändert von der „Unechten Teilortswahl“ zum Verhältniswahlrecht, wird nicht die Ortschafts-Verfassung abgeschafft.

In allen ihren Ortsteilen betreffenden Angelegenheiten haben die Ortsvorsteher und ihre Vertreter darüber hinaus ein Anhörungsrecht und Mitspracherecht gegenüber der Verwaltung und dem Gemeinderat der Gesamtstadt in jeder Gemeinderatssitzung, in allen Ausschüssen usw… .

Die Ortsvorsteher sind die Ansprechpartner für alle Entscheidungsorgane der Sinsheimer Stadtverwaltung, für den Oberbürgermeister, die Fraktionen des Gemeinderats, für einzelne Gemeinderäte, wenn es um Belange innerhalb der entsprechenden Ortsgemarkungen geht.

In Sinsheim gibt es regelmäßig Ortsvorsteherversammlungen zusammen mit der Verwaltungsspitze. Sie stärken zusätzlich die Ortschafts-Verfassungen der einzelnen Teilorte. Die letzten 4 Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Sinsheim welche seit der Gebietsreform 1973 die Geschicke Sinsheims gelenkt hatten, haben bis heute dieses Prinzip aufrechterhalten und somit auch ein stetiges Zusammenwachsen der 13 Ortsteile konsequent gefördert.

Die damals eingeführte Unechte Teilortswahl war ein notwendiger Kompromiss damit die Teilorte bis zum Abschluss der Eingemeindungsverträge ein garantiertes Stimmrecht im Gemeinderat hatten. Jetzt 50 Jahre danach ist der Prozess der Eingemeindung ja längst vollzogen, die UT ist in dieser Hinsicht überflüssig geworden.

Bei Entscheidungen, welche die Teilorte betreffen, wurde sich in Sinsheim immer an den Empfehlungen aus den entsprechenden Ortschaftsrat-Sitzungen orientiert, welche entsprechende Vorschläge in den Gemeinderat einbrachten. Das ist ein gängiges Prinzip zur Entscheidungsfindung, was sich schon seit 50 Jahren im Sinsheimer Gemeinderat bewährt hatte, und zwar bei allen Fraktionen. Viele Millionen Euro aus den verschiedenen Haushalten wurden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten so erfolgreich in notwendige Maßnahmen der Teilorte investiert.

Durch die hervorragende Arbeit unserer Ortsvorsteher sind viele von ihnen über ihre Ortschaftsgrenzen hinaus bekannt geworden. Dementsprechend wurden bei der letzten Kommunalwahl bspw. 10 der 12 Ortsvorsteher direkt in den Gemeinderat gewählt und haben so noch zusätzlich zu ihrem Mitspracherecht, ein Stimmrecht bekommen. Mit einem vereinfachten Verhältniswahlrecht könnten mehrere verschiedenen Kandidaten vom selben Ort kommend, weil man im Gegensatz zur UT alle seine Stimmen auf bestimmte Kandidaten der Ortschaften verteilen könnte ohne Einschränkung.

Die Stimmenverteilung würden nicht begrenzt werden wie bei der UT. Durch eine verantwortungsvolle Aufstellung einer Wahlliste durch die Parteien könnten so vielleicht mehr Kandidaten aus einer Ortschaft einen Sitz im Gemeinderat gewinnen als es mit der UT der Fall war.

Bürgerentscheid – Politik und Emotionen

Die Entscheidung aus dem Gemeinderat wird von einem Teil der Sinsheimer Bürger nicht akzeptiert und es kommt nun zu einem Bürgerentscheid in Sinsheim. Es wird jetzt ein Werkzeug der direkten Demokratie in Sinsheim eingesetzt, welche wir Grüne selbstverständlich zustimmen werden.

Der damalige Antrag in der April-Sitzung zu einem Bürgerbegehren mit großer Mehrheit abgelehnt (30 nein-Stimmen zu 15 Ja-Stimmen), weil von 2/3 den anwesenden Gemeinderäten gehofft wurde, dass eine eindeutige Entscheidung im Gemeinderat uns den enormen Aufwand eines Bürgerentscheids ersparen könnte. Deswegen den Bürgerentscheid als Ultimo Ratio – so wie der Gesetzgeber das auch will. Wir befürchteten auch, dass durch möglicherweise hart geführte Werbe-Kampagnen im Vorfeld des Bürgerentscheides für das „Ja“ oder „Nein“ zur UT wieder Gräben geöffnet werden könnten zwischen Kernstadt und Teilorten. Gräben die in den letzten 50 Jahre in Sinsheim erfolgreich geschlossen wurden.

Gerade jetzt wo wir angesichts der enormen Herausforderungen für den ländlichen Raum der nächsten Jahre – Verödung und Sanierung der Dorfzentren, Klimakrise, Energieversorgung, Nahversorgung, Mobilität und der demografischer Wandel, Knappe Kassen, etc.. – brauchen wir den Zusammenhalt aller 13 Ortsteile der Stadt Sinsheim, um diese Probleme gemeinsam anzupacken.

Das Gefühl einer gewissen Ausschlussangst bei einigen MitbürgerInnen, wenn das Prinzip des garantierten Sitzes im Sinsheimer Gemeinderat wegfällt, kann man eventuell nachvollziehen. Leider spielen einige Kollegen bewusst mit dieser, unserer Meinung unbegründeten Angst bewusst, um Stimmung für dieses unfertige Wahlsystem zu machen. Der Weg des normalen sachlichen Diskurses wurde von einigen unserer Gemeinderatskollegen bewusst verlassen, teilweise aus persönlichen, aber auch vermutlich aus wahltaktischen Gründen insbesondere mit Hinblick auf die anstehende Kommunalwahl im nächsten Jahr. So kochten leider auch einige Emotionen bei einigen Mitbürgern und Gemeinderatskollegen in den letzten Wochen besonders hoch.

Natürlich wird keiner ausgeschlossen, ob er von Hasselbach kommt oder ob der/die Bürgerin in der hintersten Ecke in Sinsheim-Süd wohnt.

Zusätzliche aktive Bürgerbeteiligung kann man in Sinsheim auf vielen Ebenen erreichen. Als Besucher/Anfragender in der Gemeinderatssitzung und Ortschaftsratsitzungen, über die Bürgersprechstunde, über die Ortsverwaltung, als Mitglied im Ortschaftsrat, als Mitglied des Gemeinderates und letztendlich auch durch die Initiative eines Bürgerentscheides, welche wir jetzt im Oktober realisieren werden. Der Souverän, das Volk, alle unsere Sinsheimer Mitbürgerinnen und Mitbürger, müssen darüber in einer zusätzlichen Wahl entscheiden.

Das Fazit der Grünen-Fraktion Sinsheim

Durch die weiterhin bestehende Ortschafts-Verfassung und das Mitrede- und Anhörungsrecht ist die Beteiligung der 12 Teilorte am politischen Wirken im Gemeinderat auch ohne die UT garantiert. Es könnten sogar mehr Vertreter eines Teilortes in den Gemeinderat durch ein neues faires und verständliches Wahlsystem gewählt werden als vorher wegen der angesprochenen Wahlfreiheit in den Teilorten, die es bei der UT nicht gibt.

Aus unserer Sicht überwiegen die aufgeführten Gegen-Argumente ganz klar. Insbesondere die Tatsache, dass bei der jetzigen Ungleichheit der Sitzverteilung im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die Gefahr besteht, dass Ergebnisse kommender Kommunalwahlen in Sinsheim rechtlich angegriffen werden könnten.

Eine mögliche zu wiederholende Wahl 2024 oder 2025 in Sinsheim könnte unter anderen Wahlmüdigkeit bei den Wählern und Vertrauensverlust in die Arbeit des Gemeinderats verursachen und letztendlich auch der Demokratie dadurch schaden. Wir wissen das einer demokratiefeindlichen Partei wie der AFD genau das in die Karten spielen würde.

Mehr als 70% der von der UT betroffenen Gemeinden erneuerten bisher in Baden-Württemberg ihr Wahlsystem, indem sie dieses angreifbare Wahlrecht völlig zurecht abschaffen, einige Gemeinden sogar schon vorrausschauend vor 30 Jahren.

Die Kommunalpolitik lebt von engagierten und aktiven Mitbürgern unter anderen auch solche, die sich als Kandidatin oder Kandidat für die Gemeinderatswahl aufstellen lassen. Keiner sollte durch ein unsicheres und unklares Wahlsystem vergrault werden. Die Beibehaltung der Unechten Teilortswahl in Sinsheim ist deswegen eine sehr fahrlässige und kurzsichtige Entscheidung, sie erschwert den Beteiligungswillen unserer Bevölkerung.

Es besteht unserer Meinung nach ein klarer Handlungsbedarf das bestehende rechtlich unsichere Wahlsystem der Unechten Teilortswahl in Sinsheim abzuschaffen. An alle Sinsheimerinnen und Sinsheimer in allen 13 Ortsteilen appellieren wir deswegen:

„Lassen Sie sich nicht verunsichern! Entscheiden Sie sich bei dem Bürgerentscheid mit einem klaren „Nein“ gegen die Unechte Teilortswahl und helfen Sie unser Wahlsystem für den Wähler zu vereinfachen und demokratischer zu machen zum Wohle der gesamten Gemeinde Sinsheim!“

Jens Töniges

Verwandte Artikel