Interview mit der Bundestagskandidatin

Im September besteht die Chance schwarz-gelb abzuwählen. Was hat die Regierung Merkel-Rösler falsch gemacht?

Edith: Diese Regierung hinterlässt einen großen Entwicklungsstau bei der Sozialpolitik. Zudem ist die Fortschreibung der Energiewende völlig falsch gelaufen. Das sind zwei wichtige Zukunftsprojekte, die schwarz-gelb völlig in Sand gesetzt hat.

Schwarz-Gelb ist die Energiewende nie ernsthaft angegangen, nachdem sie ihren Pro-Atomkraft-Kurs aufgeben  mussten. Den GRÜNEN wird in der Energiefrage große Kompetenz zugesprochen. Wie gelingt der Ausstieg aus der Atomkraft und der Kohleverbrennung?

Edith: Unter dem Eindruck von Fukushima hat Merkel den Atom-Ausstiegbeschlossen, aber nur halbherzig umgesetzt. Die EU fordert seit 2007, bis 2020 20 % erneuerbare Energien, 20 % weniger Treibhausgas-Ausstoß und eine um 20 % höhere Energieeffizienz zu erreichen. In Deutschland haben wir die 20 % CO2-Redzieriung durch die  Wirtschaftskrise und den Zusammenbruch der, ich sag jetzt mal, „Dreckschleuderindustrie“ im Osten vor der Zeit erreicht. Wir produzieren bereits heute 25 % Energie durch Strom und Wind. Beim Ziel 20 % Energieeinsparung liegen wir zurück. Den Klimawandel können wir nicht mehr abwenden, aber wenn wir uns anstrengen ist die Klimakatastrophe zu verhindern. Bis 2020 wollen wir den CO2 -Ausstoß um  40% reduzieren, bis 2030 Strom zu 100% aus Erneuerbaren gewinnen. Damit das gelingt braucht es eine GRÜNE Regierungsbeteiligung.

Das Ziel unterstützen viele, aber viele haben auch Angst, dass das sehr teuer wird.

Edith: Das Bizarre ist, dass der Strompreis an der Börse seit drei Jahren sinkt, bei den Stromkunden aber als steigender Preis ankommt. So müssen private Haushalte und ca. 96% der Wirtschaft vier Prozent Unternehmen subventionieren, die energieintensiv produzieren und von schwarz-gelb entlastet wurden. Die Energiewende ist sozialpolitisch richtig. Aber wir wollen diese Fehlsubventionierung und die versteckte Subventionierung der Kohle beenden, indem wir den Emissionshandel wieder wirksam machen.

Umweltminister Altmaier redet von einer Billion , die die Energiewende die Verbraucher kosten würde.

Edith: Diese Rechnung ist irreführend. Eine Billion € braucht man auch, wenn man die nächsten Jahrzehnte Erdöl oder Erdgas bezahlen müsste. Hinzu kommt, dass 45 % des Strompreises von derzeit ca. 26 Cent pro KWh aus Steuern und Abgaben bestehen. Die erneuerbare Energieumlage wird  um ca. 1,8 Cent steigen. Das ist nur ein Bruchteil der gesamten Stromkosten. Da wird Hysterie geschürt, um die Leute zu verunsichern. Redet Altmaier von den horrenden Benzinpreissteigerungen oder Heizölkosten, die um ein Vielfaches schneller gestiegen als die Strompreise? Fakt ist: Fossile Energie wird teurer werden. Diese Entwicklung ist  bei den endlichen Ressourcen nicht aufzuhalten. Die Erneuerbaren werden dagegen billiger: Wir haben anfangs 45 Cent für die Kilowattstunde Photovoltaik gezahlt, heute sind es 16 Cent. Für Wind zahlen wir nur noch sechs Cent.

Frau Merkel ist ja mal als Klimakanzlerin gehandelt worden.  Zu Recht?

Edith: Nein, die Kanzlerin hat nicht verstanden, dass Klimaschutzpolitik mehr ist als Energiepolitik. Klimaschutz ist auch Friedenspolitik. Wenn es eine Verknappung der Ressourcen gibt, zum Beispiel Trinkwasser, dann könnte aus dieser Situation ein Konflikt, ja sogar zukünftige Kriege entstehen. Soweit denkt Frau Merkel nicht.

Die soziale Spaltung unserer Gesellschaft hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Wie wollen die Grünen die Gesellschaft wieder zusammenführen?

Edith: Wir Grüne haben dazu zwei Ideen: Die Neuregulierung des Arbeitsmarktes und eine Reform der derzeitigen Steuerpolitik. Zentrale Themen bei der Arbeitsmarktpolitik  sind ein Mindestlohn von mindestens 8,50 €, der Ausstieg aus den Minijobs und die Gleichstellung von Leiharbeit und Werkverträgen, sowie die Reduzierung der Teilzeitstellen, die ca.  55% betragen. Viele schlittern dadurch in die Altersarmut. Die soziale Sicherung und eine gesicherte Rente müssen an die Bedürfnisse der Menschen angepasst werden. Langfristig bin ich für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Die Menschen leiden auch unter dem Verfall der Infrastruktur. CDU/FDP hat ihre Versprechungen, z.B. den Ausbau der Kinderbetreuung, nicht ausreichend umgesetzt.

Edith: Wir brauchen eine bessere Kinderbetreuung und ein besseres Bildungssystem. Das sind Voraussetzungen für Frauenerwerbstätigkeit, jenseits von Minijobs und Teilzeitarbeit. Wir brauchen Ganztagsschulen für alle und in Baden-Württemberg den Ausbau der Gemeinschaftsschulen. Ein solches Bildungssystem bietet Menschen in prekären familiären Situationen die Chance auf Teilhabegerechtigkeit. Selbst in Ba-Wü  haben wir 6 % Schulabgänger ohne Abschluss. In einigen Ländern sind es sogar knapp 18 %. Das ist ein großer Verlust, denn wir können nicht auf das Potential so vieler Menschen verzichten. Deshalb brauchen wir gute Ausgangsbedingungen im Bildungsbereich.

Verbesserungen im Infrastrukturbereich und bessere soziale Sicherung kosten Geld. Seriös wäre es gleichzeitig zu sagen, wie man das finanzieren will. Haben die GRÜNEN dazu ein Konzept?

Edith: Unsere Konzepte sind durchgerechnet. Was wir versprechen ist auch finanzierbar. Wir wollen den Spitzensteuersatz auf 49 % für zu versteuerndes Einkommen ab 80 000 € zu erhöhen. Zum Schuldenabbau soll es zudem für Nettovermögen von über einer Million Euro pro Person über zehn Jahre jährlich eine 1,5%- Abgabe geben. 90 Prozent der Steuerpflichtigen werden durch die Anhebung des Steuerfreibetrages entlastet. Zur  Finanzierung  der Sozialleistungen, für  mehr Klimaschutz und zum Schuldenabbau braucht es die Belastung höherer Einkommen. Die Erhöhung der Erbschaftssteuer fließt in die Länder zur Finanzierung der Bildung. Um eine Kindergrundsicherung zu finanzieren werden wir das Ehegattensplitting abschmelzen. Kein Kind darf mit dem Stigma des „sozial Schwachen“ aufwachsen müssen, nur weil die Eltern materiell arm sind. Mit der Einführung der Bürgerversicherung wollen wir die anwachsende Tendenz zu einer Zwei-Klassen-Medizin brechen.

Die Vermögensabgabe ist eine Antwort auf die Entwicklung der Finanzmärkte, die die Regierung gezwungen hat sehr viel Geld für die Bankenrettung in die Hand zu nehmen. Welche Interventionen wären nach Ansicht der GRÜNEN notwendig gewesen?

Edith: Ein solidarisches Europa ist uns GRÜNEN wichtig. Zur Solidarität gehört, dass wir  Länder in Krisensituationen unterstützen. Es geht aber nicht darum jede Bank zu retten. Zudem müssen die Banken selber an der Korrektur der Krise beteiligt werden. Die Banken hatten vorher satte Gewinne gemacht, jetzt müssen sie beim Abtragen der Schuldenlast beteiligt werden.

Die Verbindung zwischen dem Thema Europa und der Lage vor Ort finden wir in der Landwirtschaft.

Edith: Die europäische Agrarpolitik denkt seit Jahren sehr viel grüner und ökologischer als der Deutsche Bauernverband und verlangt, dass Subventionen zum Beispiel an den Tierschutz, an den Verzicht auf Monokultur oder für die Umstellung auf Bioanbau gekoppelt werden. Wir GRÜNEN unterstützen diese Ideen.

Du bist seit Jahrzehnten auch in der Frauenpolitik engagiert.  Die Familienministerin ist ja in dieser Hinsicht nahezu ein Totalausfall. Was sind die Hauptaufgaben für die Befreiung der Frau?

Edith: Frauen brauchen Zugang zur Hälfte des Himmels und zur Hälfte der Arbeitsplätze. Wir sind aber auch bereit Küche und Kinderbetreuung zu teilen. Die  ökonomische Selbständigkeit der Frauen ist wichtig. Das heißt: raus aus der Minijobfalle, raus aus dem Ehegattensplitting und raus aus einem Rentensystem, das den Frauen kein auskömmliches Leben im Alter ermöglicht. Wir brauchen ein gutes Kindesbetreuungssystem und einen Arbeitsmarkt, der Frauen Entwicklungs- und Gestaltungschancen bietet. Wir brauchen eine Quote in den Aufsichtsräten und eine Quote für gute und für gut bezahlte Jobs. Das heißt  2000 € netto für eine Krankenschwester oder Altenpflegerin.

Du bist die Kandidatin im Wahlkreis Rhein-Neckar. Gibt es in diesem Wahlkreis Projekte, die dir besonders am Herzen liegen?

Edith: Ein Thema ist die gesundheitliche Versorgung im ländlichen Raum. Nicht nur aus Kostengründen wollen Hochbetagte in ihrer vertrauten Umgebung bleiben. Deshalb  muss die Infrastruktur den Bedürfnissen alter Menschen angepasst werden – sowohl innerhalb der Wohnung als auch im „Quartier“. Gesundheitliche Versorgung im ländlichen Raum braucht deshalb mehr aufsuchende Angebote, wie der Diabetikerberater oder die Physiotherapeutin die ins Haus kommen. Zudem muss die Grundversorgung mit Lebensmitteln gesichert sein. Idealerweise wäre ein „Tante Emma-Laden“ der zugleich ein Cafe und Ort der Begegnung ist. Mancher Hausarztbesuch  würde sich dadurch erübrigen, denn oft brauchen  einsame Menschen eher jemanden zum Reden und Zuhören als ärztlichen Beistand.

Das Interview führte Rolf Gramm, Neckargemünd

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