Haushaltsrede 2021/22

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Albrecht, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,


Zwei große Themen werden meine Rede in diesem Jahr bestimmen:
Das Thema „Gestalten“ und unsere „Schulden“


Wir Stadträtinnen und Stadträte fragen uns ja immer wieder, was wir überhaupt noch gestalten können, bei den knappen Mitteln, die unserer Stadt zur Verfügung stehen.


Heinz Schenk hat mal behauptet: „Das einzige, was man ohne Geld machen kann, sind Schulden“


Das sehen wir aber ganz anders, denn wir alle hier im Stadtrat wurden gewählt, um die Geschicke, die Zukunft unserer Stadt, mitzugestalten. Und das hat glücklicherweise in unserem Fall nicht nur mit Geld zu tun, sondern, wenn auch im begrenzten Maß, mit Einfluss.


Am Beispiel des großen Areals rund um die Elsenzhalle, das von mir „Reingschmeckte“ gerne als „vorderes Wiesental“ bezeichnet wird, möchte ich euch das verdeutlichen:


Viele von euch Alt-Eingesessenen hängen ja mit dem Herzen an der Elsenzhalle.


„Da habe ich meine Frau kennengelernt“, „mein erstes Konzert erlebt“, „meinen ersten Rausch gehabt“.


Nachvollziehbare Sentimentalitäten, aber vielleicht muss man sich trotzdem zur richtigen Zeit davon freimachen? Wir denken, dass die gute Zeit der Elsenzhalle sich dem Ende zuneigt.


Das vordere Wiesental, so nahe der Innenstadt, schön umringt von Freizeitmöglichkeiten und Grün, ist ideal geeignet für Familien, aber auch für junges Wohnen und für Ältere. Die Elsenzhalle, die, wie es aussieht, im besten Fall noch als kalte Lagerhalle geeignet ist, blockiert also eine unserer schönsten Wohnlagen.


Überlegt doch mal: Ihr fahrt ja auch nicht mehr mit eurem ersten Auto durch die Gegend, irgendwann hatte es ausgedient, selbst wenn möglicherweise die eine oder andere ihren ersten Kuss darin bekommen hat.


Nein, das alte Auto musste weichen, damit es in der Garage Platz gab für ein neues. Oder für die Familienfahrräder. Alles hat seine Zeit.Deshalb: Lasst uns doch mal offen sein für neue Wege und neue Ideen!


Für uns Stadtgestaltende bieten sich im vorderen Wiesental jede Menge Möglichkeiten. Wir können, da es sich um städtisches Gelände handelt, wesentlich mitentscheiden, wie sich dieses Gebiet entwickeln soll.


In vielem ist sich unsere Fraktion da einig mit unserem OB und der Verwaltung:


Auch wir möchten den Verkehrsübungsplatz verlegen neben den Skaterpark, eine ideale Kombination für Kinder
verschiedensten Alters. Als Ersatz für die Elsenzhalle müsste beim Jugendhaus/Tanzsportclub ein Platz frei bleiben für eine mögliche neue Hallenplanung, wenn wir uns das wieder leisten können.


Für das gesamte restliche Areal finden wir die Idee eines städtebaulichen Wettbewerbs perfekt. Im ersten Schritt kann der ganz offen erfolgen, um sich externe Ideen anzusehen. Und im zweiten Schritt kommen dann unsere eigenen Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten zum Tragen!


Wir sind uns sicher, dass sich gerade dieses Areal ganz besonders lebenswert überplanen lässt.


Verschiedene Ideen und Wünsche hat unsere Fraktion bereits dazu entwickelt, die wir gerne in den nächsten Monaten mit euch allen diskutieren würden:

  • Ein weitgehend autofreies Gebiet, z.B. Zufahrt nur für Menschen, die gerade schlecht zu Fuß sind, für Anlieferung, für Carsharing-Autos. Grundsätzlich wird schon am Anfang des Gesamtareals geparkt. Damit sparen wir enorme Erschließungskosten, wir brauchen keine Erschließung von der Bundesstraße beim Krankenhaus her, keine teure Autobrücke über die Elsenz. Auch die Zufahrt zur Neulandstraße durch die Eisenbahnüberführung könnte ausschließlich als Rad- und Wirtschaftsweg ausgewiesen werden.
    Viele, vor allem junge Menschen, möchten gerne ohne eigenes Auto leben. Durch die Bahnhofsnähe kein Problem. Das gesamte Gebiet wäre wunderbar ruhig und familienfreundlich.
  • Junges Wohnen mit hohem Gemeinschaftswert: viele moderne junge Menschen möchten einen sozialen und nachhaltigen Lebensstil führen. Wenn wir das anbieten können entwickelt das Leben im ländlichen Raum eine ganz neue Anziehungskraft für junge Fachkräfte.
  • Wie erreichen wir da eine besondere Attraktivität?
    Da junge Menschen gerne selbstständig, aber trotzdem in Gemeinschaft leben möchten, wünschen sie sich Begegnungsräume. Wir denken hier z.B. an Gemeinschaftsräume, zum Feiern, sich treffen, mit Gemeinschaftküche, eine gemeinsam nutzbare Werkstatt, einen Fitnessraum, einen Gemeinschaftsgarten, gemeinsam genutzte Fahrzeuge. Aber auch Co-Working-Spaces, um nicht im Homeoffice zu vereinsamen, wären toll.
  • Das Ganze kombiniert mit kleineren Wohneinheiten zwischen 30 und 80qm.
    So hat man einerseits die ökologische Komponente: wenig versiegelte Fläche im Verhältnis zum Wohnraumangebot.
    Anderseits erhält man durch die gemeinsam genutzten Flächen bezahlbares Wohnen mit hohem Wohnkomfort.
    Auch für Seniorinnen und Senioren und für kleinere Familien wäre so eine Wohnform äußerst attraktiv, es könnte sich also zudem daraus echtes Mehrgenerationen-Wohnen entwickeln.
    Ganz wichtig ist uns zu betonen: wir möchten keine Blöcke für gehobenes Wohnen, wie wir sie in Sinsheims Innenstadt schon vielfach haben! Dieses Areal sollte etwas Besonderes werden. Mit so viel Grün wie möglich. Lebendig und innovativ! Ein Vorzeigeviertel in jeder Hinsicht.
    Und dazu gehören für uns auch noch übergeordnete Kriterien, wie
    – der Passivhausbau,
    – viel Holz, Lehm, natürliche Baustoffe für ein gesundes Wohnklima
    – mindestens 50% bezahlbares Wohnen, z.B. für junge Pflegekräfte des GRN
    – Und vieles andere mehr

Um für die Zukunft für alle Bauprojekte, auf die wir Einfluss nehmen können, klare Vorgaben zu haben wünschen wir uns die gemeinsame Festlegung von Leitlinien dazu im Gemeinderat. Diese könnten in mehreren gemeinsamen Veranstaltungen mit Stadtspitze, Verwaltung, erfahrenen Bürgerinnen und Bürgern diskutiert, erarbeitet und dann hier im Gremium verabschiedet werden.


Ihr seht, viele Möglichkeiten der Gestaltung bereits bei diesem einen Thema!


Und, wie meine Vorredner ja bereits erwähnt haben, es bleiben auch noch viele andere Themen, auf die wir Einfluss nehmen können oder sogar müssen. Immer wieder eine effizientere Verwaltung einzufordern gehört z.B. dazu.
Etwas weniger Enthusiasmus bringe ich für mein zweites Thema, das Thema „Schulden“ auf.


Wir haben viele Schulden und wir werden weitere machen müssen.


Von Helmut Schmidt stammt die wichtige Erkenntnis:


„Was Wachstum schafft, darf sehr wohl mit Schulden finanziert werden“


Da stimmen wir ihm zwar gerne zu, aber trotzdem steht fest:


Die Gemeindeprüfanstalt hat bei jeder Kommune den Blick darauf, dass die monetären Verpflichtungen sich in Grenzen halten.


So soll die Generationengerechtigkeit gewahrt bleiben.


Heutzutage leider ein besonders zweischneidiges Schwert, denn was ist mit unseren Schulden bei den Ressourcen, bei den CO2-Emissionen, also beim Klimaschutz?


Unsere Lebensweise beeinflusst die Lebensbedingungen von morgen wie noch nie zuvor!


Das Bundesverfassungsgericht verkündete im April dieses Jahres, dass die heutige Politik, vereinfacht gesagt, beim
Klimaschutz auch die Rechte der zukünftigen Generationen beachten muss.


Und das bedeutet, wir müssen das bei jeder Entscheidung, die wir treffen, mit berücksichtigen!


Natürlich wird es das Klima nicht messbar beeinflussen, ob wir unseren Kindergarten als Passivhaus oder als Effizienzgebäude 40 ausführen.


Aber unsere grundsätzliche Haltung, alles dafür zu tun um CO2 zu sparen, die kann sehr wohl einen entscheidenden Unterschied machen!


Gerade die neulich hier gefällte Entscheidung zum Kindergarten Dühren hat uns sehr betroffen gemacht. Wir hatten ja hier im Gremium bereits die klimaschonenden Standards beschlossen, die Verwaltung war weiter dafür offen, zumindest für die Holzbauweise.


Der Bau wäre als Passivhaus nicht wesentlich teurer geworden.


Eine rentierliche Mehrinvestition zudem, sich amortisierend durch die Energieeinsparungen.


Eigentlich nur ein sehr kleiner Schritt für mehr Klimaschutz, aber trotzdem: fast alle gegen Passivhaus und Holzbauweise. Wie sollen wir dann da weiterkommen wo es wirklich wehtut? Oder stimmen wir erst für Klimaschutz-Maßnahmen, wenn wir noch direkter betroffen sind, wenn uns selbst alles wegschwimmt, wie im Sommer im Ahrtal? So selbstbezogen und wenig vorausschauend kann unser Handeln nicht bleiben, denn auf uns Kommunen kommt es ganz entscheidend an beim Klimaschutz!


Auch das Thema Infrastruktur spielt bei den Schulden und Bedingungen, die wir der nachfolgenden Generation hinterlassen, eine große Rolle. Wir haben schon seit vielen Jahrzehnten riesige „Schulden“ an unserer bestehenden Infrastruktur angehäuft, marode Straßen und Brücken zur Genüge, bei denen wir mit dem Sanieren (und vor allem dem Bezahlen) schon lange nicht mehr hinterherkommen!


Außerdem gehen von unseren heutigen Straßenverläufen viele auf Entscheidungen aus dem Mittelalter oder sogar der Antike zurück. Und unsere jetzigen Entscheidungen werden ebenso viele weitere Jahrzehnte prägen.


Dabei wissen wir nicht: wie wird sich der Verkehr entwickeln? Werden wir mehr oder (hoffentlich)weniger Fahrzeuge auf unseren Straßen haben? Was können, was wollen wir uns noch erlauben? Welche neuen Lösungen stehen an? Gerade bei uns im ländlichen Raum könnte der öffentliche Nahverkehr durch das autonome Fahren, die Planung digital gesteuert, einen enormen Sprung machen.


Im Zusammenspiel mit Carsharingprojekten und mit Hilfe der E-Bikes, könnte das für eine sehr deutliche Entlastung unserer Straßen sorgen.


Wir stehen also mit unserer Mobilität an einem Scheideweg, dessen Entwicklung nur schwer vorhersehbar ist.


Deshalb möchten wir unbedingt vermeiden, dass für den Autoverkehr in den nächsten Jahren neue Infrastruktur entwickelt wird. Wir wollen dort die Entwicklung abwarten, und inzwischen in die Radinfrastruktur investieren. Der Radverkehr hat, auch durch das E-Bike, einen gewaltigen Aufschwung genommen, den wir in Sinsheim unbedingt aktiv unterstützen sollten.


Lassen wir Zahlen auf uns wirken: Kopenhagen, Welthauptstadt des Radverkehrs, erreichte das durch die Investition in den Radverkehr von 35€- pro Kopf, jedes Jahr!! In Deutschland sind wir da bei 2-5€ pro Kopf und Jahr. Und wann in Sinsheim in den letzten Jahren in Radinfrastruktur investiert wurde muss man lange suchen.Scheinbar funktioniert das nur, wenn hohe Fördersummen winken.


Alle niederländischen Städte, auch die kleinen, denken bei jeder Entscheidung seit Jahrzehnten konsequent an den Radverkehr. Über die Infrastruktur dort können wir uns hier nur verwundert die Augen reiben.


Deshalb unser Wunsch: lasst uns auch bei uns einige Jahre den Fokus auf die Radinfrastruktur legen beim Straßennetz. In 10-15 Jahren sehen wir dann genauer, wo die Zukunft der Mobilität liegt.


Für uns, wie jeder weiß, auf keinen Fall in Großprojekten wie der Nordanbindung oder der Querspange durchs vordere
Wiesental. Überlassen wir solche Entscheidungen der nachfolgenden Generation, denn diese muss auch mit den weitreichenden Konsequenzen leben.


Zum Abschluss noch ein Lob an uns alle:


Infrastruktur bedeutet ja nicht nur Netze und Wege für Daten, Verkehr, Wasser, sondern auch soziale Einrichtungen wie Schwimmbäder, Kindergärten und Schulen.


Und hier machen wir sehr viel richtig! Zwei der großen Investitionen, die wir trotz Knappheit tätigen, sind der Neubau des Kindergarten Dühren und die Generalsanierung der Realschule.


Von guten Bildungsstätten profitieren zuvorderst Eltern und Kinder. Aber: mehr Betreuungsplätze erhöhen auch die Frauenerwerbstätigkeit. Damit mildert man den gefürchteten Fachkräftemangel und das Problem der Alterssicherung, generiert Einkommensteuer. Und gute Betreuung sorgt auch für gute Bildung in allen sozialen Schichten.
Davon profitiert nicht zuletzt die Wirtschaft, und damit auch wir alle!


Ganz klar Investitionen in die Zukunft, in die nachfolgenden Generationen , in mehrfacher Hinsicht! Ganz im Sinne Helmut Schmidts.


Wir stimmen also der Vorlage ausdrücklich zu, denn wir sind mit den meisten Dingen, die wir mit unseren knappen Mitteln voranbringen, sehr einverstanden.
In diesem Sinne möchte ich mich bei euch und Ihnen allen bedanken, für das Engagement für unsere Stadt. Auch wenn wir uns nicht immer einig sind, so bleibt es doch zwischen uns eine gute Zusammenarbeit. Lebendige Diskussionen gehören zur Demokratie.


Unser ganz besonderer Dank geht an alle, die unermüdlich versuchen, die Folgen der Corona-Krise abzufedern, die Lage im Griff zu behalten.


Lassen wir uns nicht unterkriegen, es kommen auch wieder andere Zeiten.

Frohe Weihnachten!

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